50 Jahre Welterbekonvention: Gute Idee mit Schönheitsfehlern

6 Jun

Die UNESCO, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, sorgt sich um die sieben Welterbestätten auf ukrainischem Gebiet, wie Roman Luckscheiter, Generalsekretär der deutschen UNESCO-Kommission der Deutschen Welle bestätigte. 

 

Dazu zählen die Sophienkathedrale und das Höhlenkloster in Kiew, das historische Stadtzentrum der Stadt Lwiw oder auch die antike Stadt Chersones. 

Während der ersten 100 Tage der Invasion soll Russland nach Angaben des Kiewer Kulturministers Olexandr Tkatschenko 370 kulturelle Stätten zerstört haben. Die Auslöschung von Kultur als Versuch, nationale Identität zu zerstören, ist kein neues Phänomen. Vor 21 Jahren sprengte die afghanische Taliban-Miliz die weltberühmten, 36 und 53 Meter hohen Buddha-Statuen von Bamiyan. Der Bildersturm der Taliban löste weltweit blankes Entsetzen aus. Die Statuen hatten auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO gestanden. Aber das schützte sie nicht. 

Geburtsstunde der Welterbekonvention

Der Krieg in der Ukraine, die Vorgänge in Afghanistan - sie werfen ein Schlaglicht auf die Ereignisse des Jahres 1972: Vor genau 50 Jahren verabschiedete die internationale Staatengemeinschaft das "Übereinkommen zum Schutz des Natur- und Kulturerbes der Welt", besser bekannt als "UNESCO-Welterbekonvention". Ihr sind bis heute 194 Staaten beigetreten. Auslöser waren damals die Verluste von Kulturgütern im Zweiten Weltkrieg. Den Ausschlag aber gab der Bau des ägyptischen Assuan-Staudamms in den 1960er Jahren.

Die Entstehung des Nassersees im Süden Ägyptens drohte, die Felsentempel von Abu Simbel zu überfluten. Sie waren im 13. Jahrhundert v. Chr. unter König Pharao Ramses II. aus der 19. Dynastie des altägyptischen Neuen Reiches errichtet worden. Damit die Monumente zerlegt und an höherer Stelle wiederaufgebaut werden konnten, rief die UNESCO zu einer internationalen Hilfsaktion auf. Viele Staaten folgten dem Appell, stellten Geld, Gerätschaften und Wissen zur Verfügung. Die Solidaritätsaktion zeigte: Ausgewählte Denkmäler, Altstädte oder Naturschutzgebiete zu schützen und für die Nachwelt zu erhalten, gelingt nur nationenübergreifend. In diesem Geist wurde die Welterbekonvention aus der Taufe gehoben.

"Welterbe - eine wichtige Idee"

"Ich halte das Welterbe - also Natur- und Kulturerbe - nach wie vor für eine wunderschöne und - global gesehen - extrem wichtige Idee", sagt Kathrin Vohland, Direktorin des Naturhistorischen Museums in Wien der DW. Die Initative mache deutlich, dass die Menschheit zusammenstehe und eine gemeinsame kulturelle Entwicklung habe. Und tatsächlich, das Welterbe zu erhalten, erscheint heute - angesichts von Klimawandel, stetig wachsender Bevölkerungsdichte, ungebremstem Ressourcenverbrauch und kriegerischen Auseinandersetzungen - wichtiger denn je.

Inzwischen umfasst die Welterbeliste 1.154 Stätten weltweit. Davon liegen allein 51 in Deutschland. Der Aachener und der Kölner Dom zählen ebenso dazu wie die Bauhaus-Zeugnisse in Weimar, Dessau und Bernau, die Industriedenkmäler in Ruhrgebiet und Saarland, die Altstädte von Stralsund, Wismar, Lübeck oder Regensburg, und nicht zu vergessen die Höhlen und Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb. Zuletzt schafften es die Mathildenhöhe Darmstadt und der Limes, der einst das Römische Reich umfasste, auf die Liste der Welterbestätten. 

Welterbekomitee tagt einmal im Jahr

Einmal im Jahr trifft sich ein Auswahlkomitee der UNESCO, um darüber zu entscheiden, welche Bauwerke, Naturdenkmäler oder Kunsterzeugnisse als Weltkulturerbe gelten und deshalb unter besonderen Schutz gestellt werden sollen. Wegen der Corona-Pandemie hielt das Welterbekomitee seine letzte, 44. Sitzung im Sommer vergangenen Jahres nicht wie geplant im chinesischen Fuzhou ab, sondern tagte online. Die Zeitnot und ein "völlig überfrachtetes Programm" kritisierte hinterher Stephan Dömpke, Gründungsvorsitzender von "World Heritage Watch", einem globalen Netzwerk zum Schutz des UNESCO-Welterbes.

Scheitert die Idee des Welterbes an ihren Ansprüchen? In Dömpkes Bilanz, abgedruckt in der Zeitung "Neues Deutschland”, legt den Finger in die Wunde: Über das Gros der beantragten Stätten sei ohne Diskussion entschieden worden. Zwei Stätten - die Akropolis von Athen und die Kurische Nehrung, durch Bauvorhaben und Tourismus in akuter Gefahr - seien nicht einmal auf die Tagesordnung gelangt.

Von den 17 debattierten Stätten hätten Fachleute sieben für die Liste des gefährdeten Welterbes empfohlen, darunter Venedig, das Kathmandu-Tal und das Great Barrier Reef in Australien. Das aber habe eine Phalanx aus Russland, China, Brasilien, Ägypten, Südafrika, Nigeria, Äthiopien, Thailand und Saudi-Arabien abgeschmettert. "Die Länder mit gefährdetem Welterbe", bilanziert Dömpke, "dürfen also mit der Vernachlässigung beziehungsweise mutwilligen Zerstörung ihrer bedrohten Stätten weitermachen wie bisher."

Kultur und Natur eines Ortes könnten stark zur Identität eines Landes beitragen, wie Kathrin Vohland, Direktorin des Naturhistorischen Museums in Wien, im DW-Gespräch herausstreicht. Doch auf der einen Seite sei das Welterbe von übergeordneter, globaler Bedeutung. Zugleich könne "dieses eher Nationale, Lokale und Bewahrende auch zu etwas Völkischem und zu Abgrenzung führen". Vohland spricht deshalb von einer "Gratwanderung".

Großes Programm zum Welterbetag

Auch an der Unausgewogenheit der Welterbeliste stört sich die deutsche Wissenschaftlerin: "Es wäre schön, wenn die Welterbestätten global besser verteilt wären." Momentan konzentrieren sie sich vor allem in Europa. Aber auch Länder des globalen Südens sollten mit ihren kulturellen Leistungen und ihren lokalen Besonderheiten stärker sichtbar werden, schon als eine Form der Wertschätzung, sagt sie.

"50 Jahre Welterbekonvention: Erbe erhalten - Zukunft gestalten", unter dieses Motto haben die Deutsche UNESCO-Kommission und der Verein UNESCO-Welterbestätten Deutschland e.V. ihr Programm zum UNESCO-Welterbetag 2022 gestellt. Streifzüge mit Führungen und Vorträge, Musik führen an die 51 Kultur- und Naturerbestätten Deutschlands und erlauben Blicke hinter die Kulissen.

 

Autor Stefan Dege    

Permalink - https://p.dw.com/p/4CAyZ


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