Liliia Shutiak macht Kunst- und Kinderbücher über "schwierige Themen", wie sie selbst sagt: den Tod, Diversity, marode Infrastruktur. Seit 2015 besteht der Verlag "The Black Sheep" (deutsch: "Das schwarze Schaf") mit Sitz in Czernowitz im Südwesten der Ukraine, nur rund 40 Kilometer entfernt von der rumänischen Grenze.
Viele Binnenflüchtlinge habe es laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aus dem Osten der Ukraine nach Czernowitz verschlagen, als der russische Angriffskrieg im Februar 2022 begann.
Auch im Krieg wird viel gelesen
"The Black Sheep" reagierte, berichtet Shutiak der DW. 15.000 Bücher habe man an Flüchtlingskinder in und außerhalb der Ukraine gespendet. Die fünf Mitarbeitenden leisteten anfangs vor allen Dingen humanitäre Hilfe.
Das Büchermachen wurde zunächst schwieriger, denn im ostukrainischen Charkiw, das von den russischen Invasoren schwer zerstört wurde, sind laut Shutiak viele Druckereien beheimatet. Shutiak bringt aber auch gute Nachrichten mit zur Frankfurter Buchmesse: Der Verlag kann heute in Charkiw wieder drucken und zu ihrer Überraschung kauften die Ukrainerinnen und Ukrainer auch weiter Bücher.
Ukraine besorgt um abnehmendes internationales Interesse
"The Black Sheep" verlegt Literatur auf Ukrainisch, um die ukrainische Identität und die eigene Sprache zu stärken. "Deswegen sind Kinderbücher so wichtig", sagt Shutiak. Sie ermöglichen, Kinder in der Ukraine früh an die Sprache heranzuführen, auch solche, die russischsprachig aufwachsen.
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Zu Beginn des Krieges habe es weltweit ein großes Interesse an ukrainischer Literatur gegeben, berichtet Shutiak. Das ließe leider schon wieder nach. Umso bedeutender sei jetzt, auf Messen wie in Frankfurt, Sichtbarkeit zu zeigen und sich international auszutauschen.
Selenskyj hält Videoansprache
Bei einer Videoansprache auf der Frankfurter Buchmesse am Donnerstag (20.10.2022) unterstrich auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, wie wichtig es sei, dass die Weltgemeinschaft weiter auf die Ukraine schaue. Er lud internationale Autorinnen und Autoren, Verlegerinnen und Verleger in sein Land ein, um Zeugnis über den Krieg abzulegen.
Denn Information und Wissen seien im Kampf für Frieden und Freiheit unerlässlich, so Selenskyj. In Europa ermutigten viele Personen des öffentlichen Lebens nach wie vor dazu, Russland zu verstehen und die terroristische Politik von Staaten wie dem Iran zu ignorieren. "Wie kann das passieren?" fragte Selenskyj - und schlug selbst eine Antwort vor: "Die einzige Antwort ist ein Mangel an Wissen."
Unwissende Menschen seien leichter zu manipulieren. Deshalb sei es umso wichtiger, dass Menschen informiert seien "über den Terror, den Russland in die Ukraine gebracht hat". Selenskyj rief die Branche dazu auf, Bücher zu schreiben, zu publizieren und zu vertreiben, "über diejenigen, die Europa schwächen". Auf seine Rede reagierte das Publikum im prall gefüllten Messesaal mit Standing Ovations.
Forderungen an die europäische Buchbranche
Im Anschluss an die Übertragung betrat Oleksandr Afonin das Podium in Frankfurt, Präsident des ukrainischen Verlags- und Buchhandelverbandes. Er rief zur Schaffung eines Kulturfonds auf, mit dem ukrainische Übersetzungen finanziert werden könnten. Außerdem könne das Geld Anschaffungen in ukrainischen Bibliotheken ermöglichen und ukrainische Verlage unterstützen, die unter dem russischen Angriffskrieg gelitten hätten. Afonin schlug bei seiner Rede in Frankfurt den Börsenverein des deutschen Buchhandels und den Europäischen Verlegerverband als mögliche Gründer eines solchen Fonds vor.
Scharf verurteilte Afonin in seiner Rede die russischen Verlage, die dieses Jahr nicht auf der Frankfurter Buchmesse vertreten sind: Nicht ein einziges Verlagshaus habe den Krieg verurteilt oder der Ukraine seine Unterstützung ausgesprochen, so Afonin.
Selenskyj sagte in seiner Rede über Russland und den Iran, der ebenfalls nicht an der Messe teilnimmt, sie exportierten keine Kultur mehr, sondern nur noch den Tod. "Sie sind weniger präsent im kulturellen Bereich und zugleich dort präsenter, wo alles zerstört wird."
Damit nahm der ukrainische Präsident Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und auf die Drohnen, derer sich die russische Regierung für Luftangriffe bedient. Laut den USA sollen diese aus dem Iran stammen. Nach Angaben der Buchmesse wurde Selenskyjs auf Ukrainisch gehaltene Ansprache am Vortag aufgezeichnet.
Internationale Solidarität
Nach der Rede Wolodymyr Selenskyjs äußerte sich Nina George, die Präsidentin des "European Writers' Council", der Autorinnen und Autoren aus 31 Ländern vereint: "Jedes Zeichen von Solidarität ist wichtig", und sei es auch noch so klein.
Sie selbst sei kürzlich von ihrem ukrainischen Verlag angefragt worden, weil sie die Lizenz erneuern wollten, so George gegenüber der DW. Auf ihre überraschte Frage "Jetzt? Mitten im Krieg?" war die Antwort: "Aufgeben ist keine Option."
Das legt auch der ukrainische Länderstand in Frankfurt nahe. Ukrainische Buchverlage und Institutionen stellen auf der diesjährigen Buchmesse an einem großen Gemeinschaftsstand mit eigener Bühne aus. Auf diesem Podium sagte der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch nach der Rede seines Präsidenten: "Wir brauchen schwere Waffen und gute Bücher."
Autorinen: Christine Lehnen, Sabine Kieselbach
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Olena Selenska: "Für ukrainische Kinder gibt es keine normale Kindheit mehr"
Mit "Better Time Stories" stellte Olena Selenska auf der Frankfurter Buchmesse ein Bücherprojekt vor, das ukrainischen Kindern ein Stück Heimat schenken soll.
Die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, kommt in einer gepanzerten Limousine. Abgeschirmt von Bodyguards eilt sie zum Termin auf der Frankfurter Buchmesse, wo sie eine Kampagne für ukrainische Flüchtlingskinder vorstellt. Mit an Bord ist auch die deutsche First Lady: Elke Büdenbender, die Frau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Selenska und Büdenbender sind Schirmherrinnen der Initiative "Better Time Stories", die mit Buchgeschenken Trost spenden will. Das Geschenkpaket enthält fünf interaktive Bilderbücher für die Kleinsten. Bücher, die Zuversicht verbreiten sollen.
Selenska: "ein Gefühl der Geborgenheit"
Für ukrainische Kinder, ob auf der Flucht oder in ihrer Heimat, gebe es keine normale Kindheit mehr, sagt Selenska in Frankfurt: "Alte Rituale, wie das Vorlesen vor dem Zubettgehen, geben Kindern Heimat zurück und für eine halbe Stunde ein Gefühl der Geborgenheit."
Die Bücher sind zweisprachig auf Deutsch und Ukrainisch sowie als Hörbücher erhältlich. Eine der Geschichten, "Die Omi", hat Elke Büdenbender im Tonstudio im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, selbst eingesprochen. "Sprache ist Heimat", sagt Büdenbender in Frankfurt. "Kinder, die hierherkommen, müssen in ihrer Sprache reden, sich ausdrücken können." Dass die Bücher in zwei Sprachen gedruckt sind, erleichtere hoffentlich auch das Erlernen der neuen Sprache.
Verbunden bleiben mit den Verwandten
Der Clou von "Better Time Stories" ist die Website, auf der über einen Link Familienmitglieder in der Ukraine aus den Büchern vorlesen und dies aufzeichnen können - und die Kinder, die oft hunderte Kilometer entfernt sind, dann die Gutenachtgeschichte von Papa oder Oma gesprochen hören können.
Entwickelt hat diese interaktive Plattform der in den Niederlanden lebende ukrainische Social-Tech-Unternehmer Andriy Shmyhelskyy. Die "number 5 foundation", gegründet von der niederländischen Prinzessin Laurentien und Prinz Constantijn, hat die Realisierung gefördert. In den Niederlanden wurde das Projekt bereits vor drei Wochen präsentiert.
Die Möglichkeit, Flüchtlingskindern ein Geschenkpaket zu spenden, ist denkbar einfach. Auf der Website genügt ein Klick. Und mit einem Klick können die Pakete auch kostenlos geordert werden. Unterstützt wird die Kampagne von zahlreichen Verbänden und Verlagen in der Ukraine, in Deutschland, den Niederlanden und Österreich.
Autorin Sabine Kieselbach
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