Deutschland, dein Wald: Nur 20 Prozent der Bäume sind gesund

13 Okt

FОТО: PIXABAY.COM.


Die Deutschen und ihr Wald: Das ist eigentlich die Geschichte einer innigen Liebe. Aber dem Wald geht es schlecht, vielleicht so schlecht wie noch nie.

 

Die älteren Menschen in Deutschland können sich vielleicht noch erinnern: Das Waldsterben war einmal eine Top-Nachricht in Deutschland, in der damaligen (westdeutschen) Bundesrepublik. 1984 wurde "Waldsterben" zum Wort des Jahres gewählt. Vor allem Abgase aus dem Verkehr und der Industrie hatten den Bäumen zugesetzt. Das traf die Deutschen, die zu ihren Wäldern immer eine ganz besondere, romantische Beziehung hatten, ins Mark.

 

Nur noch 19 Prozent der Eichen geht es gut

Heute sind rund 30 Prozent der Fläche des geeinten Deutschlands von Wald bedeckt, aber den Bäumen geht es nicht besser als vor 40 Jahren, im Gegenteil. So listet der Waldzustandsbericht von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) auf, dass 1984, als alle vom kranken Wald redeten, 54 der Eichen in der alten Bundesrepublik gesund waren, heute sind es nur noch 19 Prozent.


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Nach 1984 wurde entschlossen reagiert

Sven Selbert ist der Waldexperte des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) und sagt der DW: "Dem Wald geht es noch schlechter als damals, als alle über das Waldsterben gesprochen haben. Und damals hat die Gesellschaft ziemlich engagiert reagiert. Denn damals wurden im großen Stil Filter in die Fabrikschlote eingebaut, der Schwefel aus der Luft geholt, und das hat dem Wald dann schon sehr geholfen."

 

Das Waldsterben macht keine Schlagzeilen mehr

Heute gibt es andere, vielfältigere Faktoren, die den Bäumen zusetzen. Und andere Schlagzeilen, auch im Bereich der Umweltpolitik, die dazu führen, dass der Wald eher still vor sich hin stirbt. Wenn durch den Klimawandel begünstigter Starkregen oder Dauerregen die Flüsse im Sommer über die Ufer treten lässt (oder zu Dauerniedrigwasser führt), dann sind die Folgen weit sichtbarer, etwa bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021. Sven Selbert: "Wir haben den Klimawandel, der jetzt in den Wäldern deutlich zuschlägt. Zu den Dürren, den Stürmen, dem Wassermangel kommen neue Krankheiten hinzu, die zumeist von eigentlich bekannten Erregern hervorgerufen werden und plötzlich den Wald viel stärker schädigen, als wir das vorher gesehen haben."

 

Regierung will neues Waldgesetz vorlegen

Das Regierungsbündnis von SPD, Grünen und FDP, seit Dezember 2021 im Amt, hat sich im Koalitionsvertrag fest vorgenommen, gegen diesen Trend anzugehen. Vor allem wurde vereinbart, ein Waldschutzgesetz zu verabschieden, dass die alte Regelung von 1975 ersetzt. Damals war vom Klimawandel noch gar nicht die Rede, Deutschland war noch geteilt, der Flächenverbrauch war längst nicht so heftig wie heute. Jetzt sagt Cem Özdemir: "Die Klimakrise hat unseren Wald fest im Griff, langandauernde Trockenheit und hohe Temperaturen der letzten Jahre haben bleibende Schäden hinterlassen." Und weiter: "Nur noch jeder fünfte Baum ist vollständig gesund. Der Wald entwickelt sich zum Dauerpatienten." Nötig sei daher, dem wertvollen Ökosystem "eine Langzeitkur" unter anderem mit einem Umbau zu mehr Mischwäldernzu verordnen. Ein Projekt von Generationen, das weiß auch der Grünen-Politiker.

 

Den Wald sturmfest machen

Anpassung an den Klimawandel auch für die Bäume, lautet also das Stichwort. Viele Folgen der Erderwärmung sind nicht mehr revidierbar, der Wald muss sich ändern, um zu überleben. Sven Selbert: "Wir müssen die Wälder, die Öko-Systeme, auch die Städte, sturmfest machen. Das bedeutet, dass man das Öko-System Wald als solches begreift, nicht nur als Holzacker. Man muss in den Wäldern das Netzt des Lebens etwas fester knüpfen. Mehr Arten hineinbringen etwa."

 

Wirtschaftsinteressen gegen Naturschutz?

Aber schon steht der Entwurf des Waldgesetzes, der derzeit in der Bundesregierung abgestimmt wird, in der Kritik. Waldbesitzer sehen in dem aktuellen Gesetzentwurf einen "Misstrauensbeweis" und monieren, dass zum Beispiel ungenehmigte Kahlschläge unter Strafe gestellt werden sollen. Und der Verband der Familienbetriebe in der Land- und Forstwirtschaft teilt mit: "Es handelt sich statt einem Waldgesetz vielmehr um ein Naturschutzgesetz, das auf den Landschaftsraum Wald ausgedehnt wurde." Der Verband fordert weniger strenge Vorgaben und mehr Freiheit in der Bewirtschaftung. Dazu sagt Sven Selbert: "Der Wald wird von vielen als Holzquelle gesehen, das ist er auch, das soll er auch bleiben, kann er aber nur, wenn die Waldgesundheit nach oben geht und nicht permanent nach unten."

 

Holzexporte aus Deutschland mehr als verdreifacht

Knapp die Hälfte des deutschen Waldes befindet sich in Privatbesitz, es gibt stattliche 760.000 Waldeigentümer. Holz ist ein begehrtes Produkt, die Preise für Schnittholz sind in den letzten Jahren auf dem weltweiten Mark stark gestiegen, zwischen 2015 und 2020 haben sich die Exporte von Rohholz vor allem nach China und in die USA mehr als verdreifacht. Der Druck auf den Wald bleibt also bestehen, wie überall auf der Welt, so Selbert: "Wir haben zusammen mit den anderen Regionen der Welt die gleiche Problemlage. Der Amazonas leidet stark unter der Klimakrise, es ist zu befürchten, dass diese Nasszelle der Erde austrocknet. Aber auch die Wälder in Skandinavien stehen sehr stark unter Druck. Dort müssen die Wälder mit vielen Nadelbäumen umgebaut werden." Wann und in welcher Form das neue deutsche Waldgesetz kommt, steht noch in den Sternen.

 

Autor Jens Thurau

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