"Mummy don't know daddy's getting hot at the body shop," (Mami weiß nicht, dass Papi sich im Stripclub aufheizt) singt ein vielstimmiger Chor, "doing something unholy" (wo er ruchlose Dinge tut).
Dann setzen Rhythmusschläge ein, und eine klagende Stimme wendet sich an den Vater: "She'd kick you out if she ever, ever knew" (Sie würde dich rausschmeißen, wenn Sie all das wüsste!"). Im Lied nimmt das Unheil seinen Lauf. "Unholy", der Song von Kim Petras und Sam Smith, erzählt von den geheimen Sehnsüchten eines verheirateten Familienvaters. Er wird zum "dirty, dirty boy", wie es im Text heißt, einem schmutzigen Jungen, der einen Erotik-Club aufsucht - mit eindeutiger Absicht. Sein Verrat am bürgerlichen Ehe-Ideal ist der Stoff, aus dem Petras und Smith ihren gemeinsamen Hit schufen.
LGBTQ-Community feiert Kim Petras
Der Song ging viral. Für Smith sind Chart-Erfolge nichts Neues: Seit 2014 führte Smith acht Mal die Charts in Großbritannien an, in den USA landete die Single "Stay With Me" auf Platz zwei. 2017 outete Smith sich als nicht-binär. Die aus Köln stammende Sängerin und Songschreiberin Kim Petras hingegen galt bisher noch als Geheimtipp, dabei hatte sie schon Songs für die US-Rapperin Fergie und R&B-Sängerin Rihanna geschrieben. Das hat sich jetzt geändert: Manche vergleichen sie schon mit Lady Gaga, die US-Zeitung "New York Times" verpasste ihr den Titel "Princess of Gloss".
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Ein Teil dieses Erfolgs ist die Geschichte ihrer Selbstermächtigung. Schon früh hat sich Kim Petras - für alle Welt sichtbar - auf die Suche nach ihrer Geschlechtsidentität gemacht. Im Körper eines Jungen wird sie 1992 in Köln geboren und wächst in der nahegelegen Stadt Hennef auf. Damals heißt sie noch Tim. Mit zwei Jahren probiert sie Mädchenkleidung aus, trägt Röcke, spielt mit Puppen. "Ich habe mich schon immer als Mädchen gefühlt. Mit fünf habe ich meinen Körper gehasst", erzählt sie der Wochenzeitung "Die Zeit". "Ich konnte mich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, wollte es weghaben." Sie rennt mit einer Schere durch ihr Zimmer, will sich "das Ding abschneiden".
Immer heftiger leidet das Kind darunter, im falschen Körper zu stecken. "Ich hatte das Glück, Eltern zu haben, die mich wirklich verstanden." Viel weniger Verständnis aber zeigt ihr Umfeld: "Es gab komische Ärzte in St. Augustin und Hennef, die mir gesagt haben: Du bist verrückt", erinnert sich Kim.
Mobbing auf dem Pausenhof
Auch die Mitschüler reagieren ablehnend, auf dem Pausenhof wird sie gemobbt. Mit zehn Jahren beginnt sie, zu Psychologen zu gehen. Als sie zwölf ist, ändert sie ihren Vornamen in Kim. Danach kommt sie auch schon mal mit Latexkleidern in die Schule. "Ich wollte wenigstens gut angezogen sein, wenn jemand sein Schulbrot auf mich wirft."
Die Eltern haben zwei unabhängige Gutachten erstellen lassen. Beide bestätigen, dass ihr Kind transsexuell ist. Als Kim in die Pubertät kommt, reagiert sie panisch. "Da haben wir ihre Not erkannt, ihre Ängste vor Bartwuchs und Stimmbruch", berichtet Vater Lutz 2007 im Fernsehen. In Deutschland wird Petras schon als 13-Jährige bekannt, als sie mit ihren Eltern bei dem Magazin "Stern TV" auftritt und von ihrer Hormonbehandlung erzählt.
Als 16-Jährige macht sie in der Reportage "Mann oder Frau?" im Privatsender VOX öffentlich, dass sie geschlechtsangleichend operiert wurde. Damit gilt sie als weltweit jüngste Transsexuelle, die ihren Körper verändern ließ. Ihr Fall macht weltweit Schlagzeilen.
Ein Hamburger Hormon-Zentrum hatte Tim behandelt. Spritzen stoppten zunächst die männliche Pubertät, Hormone regten die weibliche Veränderung des Körpers an. Transsexuelle Menschen sind biologisch zwar eindeutig weiblich oder männlich, nehmen sich jedoch als Angehörige des anderen Geschlechts wahr und verhalten sich entsprechend. Gewöhnlich wollen Transsexuelle auch ihren Körper dem gefühlten Geschlecht anpassen.
"Will als gute Künstlerin bekannt sein"
Halt fand erst Tim, später Kim, in der Popmusik. Schon mit 15 Jahren beginnt Kim, im Internet eigene Popsongs zu veröffentlichen. Später arbeitet sie als Songschreiberin in den USA. Seit 2017 tritt Kim Petras zunehmend auch als Sängerin in Erscheinung. Mittlerweile hat sie zwei eigene Studioalben veröffentlicht und mit Musikern wie Dr. Luke, Charli XCX, Kygo und Paris Hilton zusammengearbeitet. Der Riesenerfolg mit "Unholy" kommt für Kim überraschend. Zugleich erfüllt sich für sie ein langgehegter Traum. Als Kind, sagte Petras jetzt, hätte sie es gern gesehen, dass eine Trans-Person die US-Charts rockt, es aber nicht für möglich gehalten.
Spielt es für ihre Songs eine Rolle, dass sie transsexuell ist? "Nein", sagt sie im Zeit-Gespräch, "es geht eher um menschliche Dinge - Liebe, Kummer, wie ich mir mein Leben vorstelle." Aber sie werde immer Teil der LGBTQ-Community sein und sich für sie einsetzen. "Klar, meine Transsexualität macht mich speziell", sagt sie. "Aber bekannt sein will ich dafür, dass ich eine gute Künstlerin bin." Fest steht: Ihr Erfolg macht der LGBTQ-Community Mut.
Autor Stefan Dege
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