1. Der Fußball kommt (zurück) nach Hause
England ist erst zum zweiten Mal nach 2005 Gastgeber der Europameisterschaft. Und die Vorfreude ist groß. Mehr als 450.000 Tickets wurden bereits verkauft. Damit knackt das bevorstehende Turnier den Verkaufsrekord von 240.000 Tickets bei der EURO 2017 in den Niederlanden.
Bei der paneuropäischen Männer-EM im Sommer 2021 war das Wembley-Stadion so etwas wie das Hauptquartier der Endrunde: Sieben Spiele wurden dort ausgetragen, darunter die beiden Halbfinals und das Endspiel. England war im Fußballrausch. "Wir waren von der Europameisterschaft der Männer begeistert, das ganze Land war aus dem Häuschen", sagte Englands Rekord-Torschützin Ellen White der DW. "Wir hoffen, dass auch wir von den Fans und dem ganzen Land massiv unterstützt werden. Für uns geht es in erster Linie darum, alle stolz auf die englische Mannschaft zu machen."
Die Tickets für die Gruppenspiele der Gastgeberinnen sind seit Monaten ausverkauft, ebenso das Finale im Wembley-Stadion. Atmosphärische Höhepunkte sind also schon jetzt garantiert im Mutterland des Fußballs.
2. Etablierte und kommende Stars
Die EURO 2022 ist gespickt mit Spielerinnen, die für magische Fußball-Momente sorgen können. So beendete die norwegische Star-Stürmerin Ada Hegerberg kürzlich ihren fünfjährigen Streit mit dem Fußballverband ihres Landes und läuft wieder für die norwegische Nationalmannschaft auf. Die Weltfußballerin von 2018 und sechsmalige Champions-League-Siegerin wird das Turnier mit ihren brillanten Offensiveigenschaften und ihren eiskalten Abschlüssen bereichern. Sie ist nicht die einzige bärenstarke Angreiferin bei dieser EM: So kann sich Spanien auf den Torinstinkt der aktuellen Weltfußballerin Alexia Putellas verlassen. Und die Titelverteidigerinnen aus den Niederlanden bieten mit Vivianne Miedema die wohl beste Torjägerin des Turniers auf.
Neben diesen etablierten Spielerinnen sind auch viele junge Toptalente am Start, denen die Europameisterschaft zum endgültigen Durchbruch verhelfen kann. Dazu zählt auch Lena Oberdorf. Mit ihren 20 Jahren ist die defensive Mittelfeldspielerin schon jetzt eine unverzichtbare Stütze des deutschen Teams. Stürmerin Lauren Hemp ist den Fans in ihrer Heimat England längst ein Begriff. Jetzt will die 21-Jährige ihr Können erstmals auch auf der großen Bühne präsentieren. Auch für die hochtalentierte französische Angreiferin Marie-Antoinette Katoto, 23 Jahre alt, ist die EM das erste große Turnier.
3. Harte Konkurrenz
Da immer mehr Nationen den Frauenfußball nachhaltig fördern, hat die Qualität in der Breite einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Folge: Der Ausgang der Spiele lässt sich schwerer vorhersagen. Und es ist unwahrscheinlich, dass eine einzige Mannschaft das Turnier dominieren wird. Für die EM in England gibt es nicht die Topfavoritinnen. "Der Wettbewerb ist viel enger geworden", sagte die deutsche Torhüterin Merle Frohms kürzlich der DW. "Es gibt fünf oder sechs Mannschaften, die das Zeug haben, am Ende den Pokal zu gewinnen."
Dazu zählen auch die Rekordeuropameisterinnen aus Deutschland, die acht der zwölf bisherigen Turniere für sich entscheiden konnten. Doch das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg befindet sich nach den jeweils enttäuschenden Viertelfinal-Niederlagen bei der EM 2017 und der WM 2019 noch im Aufbau. Die Titelverteidigerinnen aus den Niederlanden haben ihr Niveau halten können. England wird seinen Heimvorteil nutzen. Und auch Spanien hat in den vergangenen Jahren einen qualitativ hochwertigen Fußball gespielt.
4. Einige Stadien sind zu klein
Nicht alles bei diesem Turnier ist einer EM würdig. Während das Eröffnungsspiel zwischen England und Österreich im Old Trafford in Manchester und das Finale im Wembley-Stadion über die Bühne gehen, also in Fußball-Kathedralen mit großer Historie, werden viele andere EM-Partien in kleinen Stadien gespielt. So bieten das Leigh Sports Village im Großraum Manchester und das New York Stadium in Rotherham gerade mal Platz für jeweils 12.000 Fans. Für Spiele der Gruppenphase mag das gerade noch vertretbar sein, nicht aber für die Viertelfinalspiele, die dort ausgetragen werden. Das kleinste EM-Stadion, das Academy Stadium von Manchester City, verfügt sogar nur über 7.000 Plätze. Dort werden einige Gruppenspiele ausgetragen.
England ist eine fußballbegeisterte Nation mit vielen großen Traditionsvereinen. Daher wäre es ein Leichtes gewesen, Spielorte zu wählen, die dem Stellenwert einer Europameisterschaft gerecht würden. Zumal es bei dieser EM nicht nur um den Titel geht, sondern auch darum, den Frauenfußball ins Rampenlicht zu rücken und voranzubringen.
5. Unbekannte mit Überraschungspotential
Bei einer Europameisterschaft richten sich die Blicke nicht nur auf die Favoritinnen. Der Reiz eines solchen Turniers liegt auch darin, dass manche Teams schwer einzuschätzen sind. Das gilt zum Beispiel für das Team Nordirlands, das einzige der 16 Mannschaften, die noch niemals zuvor bei einer EM gestartet ist. In der aktuellen Rangliste des Weltverbands FIFA finden sich die Nordirinnen lediglich auf Position 47 wieder, zwischen Usbekistan und Myanmar. Doch die EM-Außenseiterinnen sollten nicht unterschätzt werden. Sie behaupteten sich in einer starken Qualifikationsgruppe, die von Norwegen angeführt wurde, und schlugen die Ukraine.
Eine Unbekannte ist auch das Team Portugal. Das Land ist nach 2017 zum zweiten Mal in Folge bei einer EM dabei, allerdings gelang dies nur auf einem Umweg. Die Portugiesinnen verloren zunächst das Playoff-Duell gegen Russland. Wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurden die Russinnen jedoch von dem Turnier ausgeschlossen. Portugal rückte nach. Da diese Entscheidung erst im Mai fiel, hatten die Portugiesinnen deutlich weniger Zeit als die anderen Teams, sich auf die EM vorzubereiten. Dennoch werden sie versuchen, das Beste aus ihrer unerwarteten Chance zu machen.
Dass dies ein Erfolgsrezept sein kann, bewies das dänische Männerteam bei der EM 1992: Kurzfristig rückten die Dänen für die Mannschaft Ex-Jugoslawiens nach, das wegen des Balkankriegs aussortiert worden war - und gewannen am Ende den Titel. Nicht zuletzt wegen ihrer Lockerheit angesichts der Chance, die sich erst kurz vor Turnierbeginn ergeben hatte.
Autor David Braneck
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