Fünf Dinge, die wir von Marlene Dietrich lernen können

8 Mai

Marlene Dietrich war nicht von Anfang an ein Star. Wie mühselig ihr Aufstieg zur Leinwandikone war, schildert Eva Gesine Baur in ihrer Biografie "Einsame Klasse - Das Leben der Marlene Dietrich". Die Schauspielerin musste sich zunächst mit kleinen Rollen auf der Bühne und im Film begnügen - auch in Tanzrevuen trat sie auf. Erst mit "Der blaue Engel" kam der große Durchbruch.

 

Sie war eine Ikone der Weimarer Republik, ein Hollywoodstar, eine Geflüchtete, eine Humanistin - und eine Frau, die wusste, wann es Zeit ist, sich von der großen Bühne zu verabschieden. Im letzten Jahrhundert erinnerte man sich an sie häufig als Sexobjekt oder als Hollywooddiva. 30 Jahre nach ihrem Tod in Paris lohnt es sich, einen frischen Blick auf eine Frau zu werfen, die ihrer Zeit weit voraus war - und heute so modern anmutet wie selten zuvor.

1. Liebe, wen du willst

Marlene Dietrich schlief mit Frauen und mit Männern. Das war nie ein Geheimnis, namentlich erwähnt werden aber vor allen Dingen die Männer. Dabei sind ihre Liebhaberinnen nicht weniger glamourös: zum Beispiel die erfolgreiche US-amerikanische Schauspielern Tallulah Bankhead oder die einzigartige Joe Carstairs, mit bürgerlichem Namen Marion Barbara, die schon im frühen 20. Jahrhundert offen lesbisch lebte und sich eine Karriere als Rennbootfahrerin aufbaute.

Ihre Bisexualität schien Marlene Dietrich nicht zu bekümmern oder gar ein Politikum zu sein. Als der österreichisch-schweizerische Regisseur und Schauspieler Maximilian Schell sie einige Jahre vor ihrem Tod nach dem Sex mit Frauen fragte, während er den Dokumentarfilm "Marlene" (1984) drehte, antwortete sie ihm lapidar: "Ach, wissen Sie, da gibt's 'n Mann, und da liegt 'ne Frau, und dann legt er sich drauf, und dann passiert's halt, nich? - So ist's auch bei zwei Frauen." So erinnerte sich Schell einmal in "Der Welt". Eine Frau, die ganz offen und ganz selbstverständlich beide Geschlechter liebt - das ist auch heute noch lange nicht selbstverständlich.

Auch asexuelle Beziehungen führte "die Dietrich": So verliebte sie sich in den US-amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway, der ihre Liebe auch erwiderte. Sie lebten sie aber nur per Brief aus.

2. Geschlechterregeln sind da, um gebrochen zu werden

Marlene Dietrich machte Kleidungsstücke, die vorher Männern vorbehalten gewesen waren, auch für Frauen salonfähig - und wurde damit zur Stilikone. In ihrem ersten Hollywoodfilm "Morocco" (1930, deutsch: "Marokko") küsste sie im Smoking eine andere Frau. Das hatte es auf der Leinwand noch nie zuvor gegeben, weder den Kuss, noch die Frau im Smoking. Privat ließ sie sich häufig in Hosenanzügen fotografieren, trug dabei Krawatte. So eignete sie sich die männliche Mode Stück für Stück an, nachdem ein typisch männlicher Zylinder sie zunächst zum Sexobjekt gemacht hatte: Eines der berühmtesten Fotos von ihr zeigt sie in Strapsen und im Zylinder, es ist eine Szene aus dem deutschen Film "Der Blaue Engel" (1930), der sie berühmt machte.

Dabei hörte sie aber gleichzeitig nie auf, Kleider zu tragen oder sich zu schminken. Auf Fotos wird sie heute vor allen Dingen im Anzug dargestellt, aber Marlene Dietrich fühlte sich in beiden Modewelten gleichermaßen wohl, ob im goldenen schulterfreien Kleid oder im schneeweißen Hosenanzug. In manchem Modelexikon wird die "Marlene-Hose" übrigens als eigener Eintrag geführt.

3. Beobachte wach die Politik - und steh für die Demokratie ein

Im Gegensatz zu anderen Kolleginnen und Kollegen aus der Weimarer Republik (1918-1933) weigerte sich Marlene Dietrich, die Propaganda der Nationalsozialisten zu unterstützen. 1930 folgte sie dem Ruf aus Hollywood und fuhr mit dem Regisseur und ihrem damaligen Liebhaber Josef von Sternberg, der auch "Der Blaue Engel" gedreht hatte, nach Kalifornien. Dabei blieb sie aber im ständigen Kontakt mit ihrem Ehemann Rudolf Sieber. Obwohl sie sich im Laufe der 1930er-Jahre trennten, waren die beiden bis zu seinem Tod verheiratet und unterstützten sich gegenseitig. Dietrich war es, die Sieber in den 1930er-Jahren per Telegramm dazu aufforderte, Europa mit der gemeinsamen Tochter Maria so schnell wie möglich zu verlassen, so erzählt es jedenfalls Florian Ilies in seinem Buch "Liebe in Zeiten des Hasses" (2021).

Während die deutsche Regisseurin Leni Riefenstahl Propagandafilme für die Nationalsozialisten drehte, engagierte sich Dietrich während des Krieges auf der Seite der US-Amerikaner. Schon 1939 legte sie die deutsche Staatsbürgerschaft ab und nahm die US-amerikanische an. Während sich ihr Geliebter Jean Gabin zur französischen Armee meldete, reiste sie ins kriegserschütterte Europa und unterstütze die US-amerikanischen Truppen als Sängerin. Dafür wurde sie in Frankreich zu einem Ritter der Ehrenlegion ernannt, in den USA erhielt sie schon 1947 die "Medal of Freedom", den höchsten Orden für Zivilisten. Eine zeitgenössische Frau, die dieselbe Medaille besitzt? Angela Merkel. Sie erhielt den Orden von Barack Obama.

In Deutschland kam die Anerkennung erst spät: Manche beschimpften sie sogar als Vaterlandsverräterin. Erst im Jahr 2002 erhielt sie posthum die Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin.

4. Wissen, wann Schluss ist

Nicht beschönigen darf man, dass sie alkohol- und tablettensüchtig wurde und ihren Lebensabend zurückgezogen in Paris verbrachte. Aber sie wusste auch, wann Schluss ist: Nach einer Verletzung im Jahr 1975 beendete sie ihre Bühnenkarriere, drei Jahre später drehte sie zum letzten Mal einen Film. Als Maximilian Schell die Dokumentation "Marlene" über sie drehte, verfügte sie, dass sie nicht gefilmt werden wolle. Schell sagte, er habe sie vom Gegenteil überzeugen wollen, aber Marlene Dietrich blieb dabei: Nein heißt nein. Sie sei bereits zu Tode fotografiert worden, sagte sie ihm zur Begründung. Schell durfte Tonaufnahmen machen und musste diese über Filmmaterial legen, das bereits von ihr existierte.

In diesem berühmt gewordenen Zitat von ihr - "I’ve been photographed to death" und ihrer Weigerung, sich noch einmal ablichten zu lassen, allen Bitten und kommerziellem Interesse zum Trotz, steckt noch immer viel Kraft. Gerade in einer Zeit, in der durch Selfies, Instagram und TikTok junge Menschen ständig Bilder von sich selbst schießen und zur Bewertung ins Internet stellen, kommt die Weigerung, sich fotografieren zu lassen, einem Akt des Widerstands gleich. Genauso wie zu wissen, wann es Zeit ist, die Bühne zu verlassen - noch etwas, das Marlene Dietrich und Angela Merkel verbindet.

5. Weltbürgerin bleiben

Marlene Dietrich, obwohl von vielen Nationen geehrt, hielt sich nicht mit Nationalismus oder Patriotismus auf. Als Maximilian Schell sie während der Dreharbeiten zur Dokumentation "Marlene" fragte, warum sie in Paris lebe, antwortete sie, hier arbeite sie nun mal gerade, sie sei ja auch oft in New York und ohnehin viel auf Reisen. Auf die Frage hin, ob sie sich nicht heimatlos fühle, habe sie mit großer Ungeduld geantwortet: "Nee - ist ja alles Quatsch!". So berichtete er es zumindest. "Ich habe Gefühle für Menschen, aber ich habe nicht Gefühle für Städte oder so", soll sie gesagt haben.

Gleichzeitig fühlte sie sich nicht heimatlos. "Amerika ist mein richtiges Zuhause", soll sie zu Schell gesagt habe. "Die haben mich aufgenommen, wie ich angekommen bin dort. Meine Tochter lebt da, meine ganze Familie ist da." Das klingt nach einer pragmatischen, auch dankbaren Frau, die wusste, was für sie zählt, und nicht nach einer Diva: die Aufnahme von Geflüchteten, die Familie, ihre Arbeit. Auch 30 Jahre nach ihrem Tod muss Marlene Dietrich nicht verklärt werden. Sie war Ikone, aber sie war auch ein Mensch - und eine Frau, deren Leben gerade im 21. Jahrhundert noch Vorbildcharakter hat: als emanzipierte, finanziell erfolgreiche Frau und Weltbürgerin, die Geschlechternormen über den Haufen warf und in der Krise zum Humanismus und der Demokratie stand.

 

Autorin Christine Lehnen

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