Ein cooles weißes Leinen-Shirt, dazu beigefarbene Hosen - in stilvollem Oufit schlendert Tourguide Levan Dvali zu mir herüber.
Ich sitze im Schatten auf einer Bank im Park des 9. April in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens. Es ist wohltuend ruhig hier. Nur einen Steinwurf entfernt pulsiert das Leben auf dem Boulevard Rustawelis Gamsiri, einer der Hauptverkehrsstraßen im Zentrum. Alle sind hier unterwegs, Einheimische wie Touristen.
Der 9. April 1989 ist ein Datum, das in Georgien jeder kennt. Damals zerschlug die Sowjetarmee gewaltsam eine Demonstration für Georgiens Unabhängigkeit. 21 Menschen kamen ums Leben, Hunderte wurden verletzt. Dieser Park ist eine Oase der Ruhe und gleichzeitig ein Mahnmal, genau der richtige Ort für unser Gespräch. Ich will mich mit Dvali über die komplizierten Beziehungen zwischen Georgien und Russland unterhalten und darüber, wie die Georgier angesichts des Ukraine-Kriegs heute zu russischen Touristen stehen.
Was die Russen nach Georgien lockt
Den Angaben des Nationalen Tourismusbüros folgend wachsen die Besucherzahlen seit 2011 kontinuierlich. 2019, vor der Pandemie, reisten 1,5 Millionen Russen ins benachbarte Georgien. Sie sorgten für Einnahmen von umgerechnet ungefähr 687 Millionen Euro.
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Die Russen lieben es, ihren Sommerurlaub in Georgien zu verbringen, erzählt mir Dvila stolz. "Für Russen ist es eine der besten Destinationen: Das Schwarze Meer, unser gutes Essen, unsere Gastfreundschaft." Seit 2017 arbeitet der 38-Jährige als Tourguide. Oft hat er russische Reisegruppen durch sein Land geführt. Zu Verstimmungen kommt es immer dann, wenn es um den Einfluss der Sowjetunion in Georgien geht. Die russischen Gäste interpretieren diesen durchweg als wohlwollend, Georgier sehen das freilich anders.
Schwierige Beziehungen
Russland und Georgien haben eine gemeinsame Geschichte. Georgien war Teil des Zarenreichs, später Teil der Sowjetunion. 1991 wurde Georgien unabhängig. In der Folge verschärften sich die Spannungen zwischen Georgien und Russland zusehends. 2008 eskalierte der schwelende Konflikt um die georgische Provinz Südossetien. Georgische Truppen marschierten in der Provinz ein, die seit 1991 nach Eigenstaatlichkeit strebte und von Russland protegiert wird. Mit der Begründung, seine Staatsbürger - eine Minderheit - dort schützen zu wollen, holte Russland zum Vergeltungsschlag aus. Fünf Tage dauerte der Krieg. Der Konflikt griff auch auf die benachbarte Provinz Abchasien über. Der Streit um die Souveränität in den Provinzen, der russische Einfluss auf georgischem Gebiet - es ist seither ein auf Eis gelegter Konflikt. Jederzeit kann er eskalieren.
Mit den beiden Provinzen gelten 20 Prozent des georgischen Staatsgebiets als von Russen besetzt. Die Angst vieler Georgier vor dem russischen Machtanspruch ist groß. Im Sommer 2019 entlud sich das angespannte Verhältnis in tagelangen anti-russischen Protesten in Tiflis. Die Reaktion folgte prompt: Russland suspendierte alle Direktflüge nach Georgien. Den im Land verbliebenen Russen wurde nahegelegt, Georgien zu verlassen, anderen davon abgeraten, dorthin zu reisen. Der Flugbann existiert bis heute. Die Besucherzahlen brachen ein, die georgische Tourismusindustrie wurde empfindlich getroffen.
Russen kommen weiterhin nach Georgien
Trotzdem war Georgien für Reisende aus dem Nachbarland weiterhin eine beliebte Destination - auch nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar dieses Jahres. Es gibt zwar immer noch keine Direktflüge, aber die Grenzen sind offen. Und wie EU-Bürger benötigen auch Russen kein Visum, um nach Georgien einzureisen.
Für viele könnte das künftig noch interessanter werden, weil es eine der wenigen Möglichkeiten ist, in den EU- bzw. Schengen-Raum einzureisen. Seit diesem Montag (19.09.2022) beschränken nämlich auch die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen die Einreise für Menschen aus Russland weiter. Selbst wer im Besitz eines gültigen Schengen-Visums ist, darf nicht mehr rein. Ausnahmen gibt es für Reisende aus humanitären Gründen und Dissidenten, doch die überwiegende Mehrheit der Reisenden muss andere Reiserouten wählen. Zum Beispiel über Georgien. In diesem Sommer konnte man überall in den Straßen, Restaurants, Bars und Museen in Tiflis Russisch hören. Wobei nicht alles Touristen sind, viele leben in Tiflis im Exil.
Während eines entspannten Abendessens in der Altstadt von Tiflis komme ich mit einem russischen Touristen ins Gespräch. Fedor Portnykh kommt aus Moskau und ist mit seinen Eltern hier. In perfektem Englisch erzählt mir der 38-Jährige, dass er nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine Russland verlassen habe und nun in Prag lebe. In Georgien habe er sich mit seinen Eltern treffen wollen, auf neutralem Terrain sozusagen. Sie kamen aus Moskau mit dem Bus nach Tiflis angereist. Sie hätten viele Stunden an der Grenzkontrolle warten müssen. Er erlebe in Georgien Solidarität mit der Ukraine, offene Ablehnung habe er als Russe nie erfahren. Im Gegenteil, Georgier wären sehr freundlich und Ältere würden ihn sogar auf Russisch ansprechen. Jüngere wären da deutlich reservierter.
An die russischen Touristen im Land haben sich die Georgier seit langem gewöhnt, aber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin begegnen sie mit Distanz bis hin zu offener Ablehnung. Marika Kopadze, Mutter von zwei Kindern, betreibt mit ihrem Mann ein Hotel in Tiflis. "Wir versuchen fair zu sein." Dann fügt sie hinzu: "Aber Putin? Niemals! Niemals werden wir Georgier ihn mögen." Mit dieser Meinung scheint Kopadze nicht allein zu sein.
Besser nicht über Politik sprechen
Einige Tage später flüchte ich vor der erbarmungslosen Mittagshitze in ein Café in Mzcheta, Georgiens alter Hauptstadt. Ich komme mit einem jungen Paar aus Russland ins Gespräch. Sie erzählen mir von ihrer Reise durch die Ural-Berge - sie sind den ganzen Weg mit dem Auto gefahren. Um die 2000 Kilometer. Während sie in der Speisekarte stöbern, erzählen sie begeistert von georgischem Essen und entscheiden sich für Chinkali, das sind gefüllte Teigtaschen - eine georgische Spezialität.
Als ich erkennen lasse, dass ich Journalist bin und gerne wissen möchte, ob sie sich in Georgien willkommen fühlen, kippt die Stimmung. Der Mann wägt seine Worte nun ab. "Wir haben unsere Meinung, aber die behalten wir für uns." Den Medien gegenüber sei er allgemein skeptisch geworden - und bezieht auch die russischen Medien mit ein. Die Sanktionen gegen Russland findet er jedoch "absolut unfassbar". Ich verstehe, dass die beiden nicht über Politik reden wollen. Wir kommen zurück auf ein unverfängliches Thema: das Essen. Darin sind wir uns einig. Und so verbringen wir den Rest des Nachmittags in entspannter Runde.
Autor Benjamin Restle
Permalink - https://p.dw.com/p/4GdY5
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