Rammstein und Schönheit - das sind erstmal zwei Begriffe, die nicht ganz zusammenpassen.
Die Band fällt eher durch martialisches Auftreten, Feuer, Rauch und grimmig geschminkte Gesichter auf als durch geschniegeltes Aussehen. Auch wenn sie schon mal Anzug tragen - ihren Gesichtern sieht man die Jahre an, immerhin sind fast alle Mitte bis Ende 50. Bisher schienen die sechs Musiker nicht mit ihrem Alter zu hadern. Das ändert sich jetzt. Wie viele andere Persönlichkeiten - von Filmstars bis B- und C-Promis - begeben sie sich unter das Messer eines Schönheitschirurgen.
Ein Aprilscherz und jede Menge Botox
Nun, nicht ganz. Die Operateure heißen in diesem Falle eher Photoshop und Instagram; hier postet die Band anlässlich ihrer neuen Single "Zick Zack" Bilder der Musiker, deren Gesichter durch OPs und jede Menge Botox verunstaltet sind.
Das Ganze begann mit einem Aprilscherz - am 1. April verkündete die Band ihr neuestes Projekt: Die "Zick Zack Beauty Klinik" in Berlin. Der Gag war schnell durchschaut, die Klinik gibt es natürlich nicht, wohl aber die dazu gelieferte Telefonnummer. Wer die anruft, kann neben dem Veröffentlichungstermin am 7. April um 18:00 CET einen kleinen Textauszug sowie ein paar Takte aus der neuen Single hören. Und da wissen Fans schon, was sie erwarten dürfen: Den Rammsteinsound, den sie kennen. Harte Gitarrenbretter, noch härtere Drums und die knackigen Keyboards, dazu Till Lindemanns einzigartigen Sprechgesang. Mit tiefer und unheimlicher Stimme erzählt er von "Reiterhosen" und anderen vermeintlichen Übeln, die sich Menschen in Schönheitskliniken wegoperieren lassen.
Dass bei allzu häufigen Besuchen in der Beauty Klinik auch Gesichter nahezu entmenschlicht werden, zeigen die Instagram-Bilder der Band - sie kommen einem irgendwie bekannt vor; derartige Bilder begegnen einem oft beim Blick in die Klatschpresse. Rammstein-Bassist Oliver Riedel hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem mehrfach operierten deutschen Designer Harald Glööckler, der sich selbst durch seine OPs zur Kunstfigur gemacht hat.
Gesellschaftskritik als Provokation
Wie so oft setzen sich Rammstein hier mit einem Gesellschaftsthema auf ihre ganz eigene provokante Art und Weise auseinander. Als 2019 die Single "Deutschland" erschien, war das Aufsehen groß. In einem Teaser-Video stehen Rammstein-Frontmann Till Lindemann und drei seiner Bandmitglieder nebeneinander aufgereiht an einem Galgen, jeder mit einem Strick um den Hals und in gestreifte Sträflingskluft gekleidet, einer trägt den gelben "Judenstern". Es ist klar: Die Szene stellt eine Exekutionsszene in einem NS-Konzentrationslager dar. Damit war für viele die Grenze der Kunstfreiheit und des Geschmacks überschritten.
Als das komplette Video erschienen war und klar wurde, dass es sich bei dieser Szene um die Darstellung einer von vielen Episoden aus der deutschen Geschichte handelte, beschäftigten sich auch Forschende mit dem Lied und seiner Bedeutung. Der deutsche Medienwissenschaftler Joachim Trebbe sagte damals im DW-Interview, "Deutschland" sei "ein Lied über das zwiespältige Verhältnis zu einem Deutschland, in dem die Leute leben, die darüber singen. Und darüber, was dieses Deutschland in seiner bisherigen geschichtlichen Entwicklung so angestellt hat." Dabei finde allerdings keine Verherrlichung oder kein Missbrauch von irgendwelchen Symbolen statt.
Rammstein ohne Zündstoff wäre nicht Rammstein
Die ganze Bandgeschichte durchzieht ein quasi blutroter Faden: Es geht immer um die Abgründe der menschlichen Seele, des menschliches Daseins. Sex, Gewalt, Wahnsinn, Angst und Tod sind die Themen - und allein der Bandname erinnert an ein furchtbares Unglück: Im August 1988 stießen bei einer Flugschau auf der US-Militärbasis Ramstein zwei Flugzeuge zusammen, 35 Menschen starben in den Flammen, weitere 35 starben an den Folgen ihrer schweren Brandverletzungen im Krankenhaus.
Ein Song auf der ersten Rammstein-Platte "Herzeleid" hat folgenden Text: "Rammstein - Ein Mensch brennt. Rammstein - Fleischgeruch liegt in der Luft. Rammstein - Ein Kind stirbt. Rammstein - Die Sonne scheint. Rammstein - Ein Flammenmeer." Auf Konzerten zündete sich Till Lindemann im Asbestmantel während des Songs an.
Gleiche Platte, noch mehr Tabuthemen: "Weißes Fleisch" thematisiert Pädophilie, in "Heirate mich" gräbt ein Nekrophiler die Leiche seiner Frau aus, um mit ihr Sex zu haben. Im Refrain heißt es "Hei-hei-heirate mich", was auch gerne als "Heil!"-Rufe interpretiert wurde - die Band hatte nicht zuletzt auch durch den teutonischen Gesang von Till Lindemann mit rollendem R schnell den Ruf als Nazi-Kapelle weg.
Rammstein ist keine Nazi-Band
In nunmehr 28 Jahren Bandgeschichte konnten Rammstein diesen Vorwurf weitgehend beiseite räumen. Doch vielen Kritikern stoßen die immer noch krassen Tabubrüche der Band und auch des Sängers Till Lindemann auf Solopfaden übel auf.
Davon lassen sich die Berliner nicht beeindrucken. Sie machen ihr Ding, denn so wie sie sind, werden sie von ihren Millionen Fans auf der ganzen Welt gemocht. Selbst wenn sie leisere Töne anschlagen, wie in dem zuletzt erschienenen Song "Zeit" (März 2022), haben sie ihre Faszination nicht verloren. Und so funktionieren die Werbekampagnen für neue Alben und Singles jedes Mal aufs Neue hervorragend. So auch gerade wieder geschehen im Zuge der Promotion für das neue Album, das am 29. April erscheinen wird.
Trackliste per Geocaching
Die Band hatte ein kleines Video gepostet, in dem es hieß, elf "Zeit"-Kapseln seien rund um den Globus versteckt. Auf der Rammstein-Webseite gab es die Koordinaten - und weltweit machten sich Rammstein-Fans mit GPS-Geräten auf die Suche. Tatsächlich konnte man von Australien bis Finnland, von Mexiko bis ins ostdeutsche Brandenburg unter den entsprechenden Koordinaten eine Box mit einem QR-Code finden, der dann einen der Songtitel enthüllte.
Autorin Silke Wünsch
Permalink - https://p.dw.com/p/49RkR
Kommentar hinterlassen