Netzwerk soll Kultur der Ukraine schützen

8 Apr

Freiwillige Helfer, Museumsangestellte und Historiker haben in Saporischschja im Südosten der Ukraine Sandsäcke um das Denkmal des - russischen - Komponisten Michail Glinka gestapelt, um es vor russischen Angriffen zu schützen

 

Neben dem unermesslichen menschlichen Leid bedeutet die russische Invasion auch eine Gefahr für das kulturelle Erbe der Ukraine: für seine Kirchen, historischen Stätten, Museen, Denkmäler, Traditionen. Vor einer Woche bezifferte die Unesco, die für Kultur zuständige Organisation der Vereinten Nationen, die bereits beschädigten Orte auf mehr als 50.

Beate Reifenscheid, Präsidentin von Icom Deutschland, hält diese Zahl für längst überholt. "Aus Mariupol weiß man gar nicht, welche substanziellen Schäden es gibt", sagt Reifenscheid im DW-Gespräch. "Man muss davon ausgehen, dass dort alles verloren ist."

Im März hatte Claudia Roth, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, zusammen mit dem Auswärtigen Amt das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine ins Leben gerufen. Damit sollen der Schutz von kulturellen Schätzen verbessert, Informationen gebündelt und Hilfsmaßnahmen insbesondere aus Deutschland koordiniert werden. Als zentrale Schaltstelle wurde Icom Deutschland benannt.

Zu viel läuft parallel

Dem internationalen Museumsrat Icom (International Council of Museums), 1946 mit der Unesco gegründet, gehören heute 151 Nationalkomitees an. "Dank dieses internationalen Netzwerks mussten wir nicht von Null angefangen", sagt Beate Reifenscheid.

Seit den Protesten gegen die Regierung in Belarus 2020 sei die Abstimmung innerhalb Europas weitgehend eingespielt. Auch damals hatten kulturelle Einrichtungen um Hilfe gebeten. "Dass so eine Situation in der Ukraine eintreten könnte, haben wir lange Zeit nicht auf dem Schirm gehabt", sagt Reifenscheid.

Ukrainische Kulturgüter in Gefahr

Es geht nun darum, in einer unübersichtlichen und sich andauernd verändernden Lage die Übersicht zu behalten. Strukturen müssen aufgebaut, die Datenlage sortiert werden. "Weil alle möglichst schnell helfen wollen, läuft noch zu viel parallel, wir müssen die Maßnahmen stärker koordinieren."

Bei allem Bemühen bleiben die Mittel bisher darauf beschränkt, den Einrichtungen in der Ukraine vor Ort zu helfen. Kunstobjekte außer Landes zu bringen, ist momentan nicht vorgesehen. "Man würde der Ukraine damit Kulturgut entziehen", erklärt Beate Reifenscheid. Museen könnten über so eine Maßnahme nicht eigenmächtig entscheiden.

Außerdem bliebe im Falle einer temporären Lagerung von Kunstwerken außerhalb der Ukraine eine Frage ungeklärt, deren Beantwortung man sich kaum ausmalen möchte: Was passiert, wenn Russland den Krieg gewinnen und die Ukraine besetzen sollte? Müsste die Kunst dann an den Aggressor zurückgegeben werden?

Paste soll Holz vor Flammen schützen

Dem Netzwerk Kulturgutschutz gehören zahlreiche Einrichtungen an, darunter die Deutsche Nationalbibliothek, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder das Bundesarchiv. Hinzu kommen Hilfsangebote verschiedener Vereine und Verbände, etwa dem Verband der Deutschen Kunsthistoriker.

Die Abstimmung über die Maßnahmen erfolgt in digitalen Meetings mit anderen Icom-Komitees - auch mit dem aus der Ukraine. Anfangs war besonders Verpackungsmaterial gefragt. "Das wurde dann an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht, dort umgeladen und in immer neuen Routen zu den Zielen gebracht", berichtet Beate Reifenscheid.

Aktuell sind Materialien, gefragt, mit denen sich Kisten bauen lassen, um bewegliche Güter darin verstauen und transportieren zu können. Feuerlöscher stehen auf der Bedarfsliste, Brandschutzdecken, schwer entflammbare Pasten, um damit Holz zu streichen. Aufwändiger sei die Beschaffung von technischer Ausstattung, sagt Reifenscheid, beispielsweise für die Klimatisierung von Objekten, die vor Feuchtigkeit oder Hitze geschützt werden müssen. "Diese Geräte können hiesige Museen in der Regel nicht zur Verfügung stellen, weil sie im Einsatz sind." Derartige Technik müsse eingekauft werden, "das kostet viel Geld". Die finanzielle Ausstattung des Netzwerks ist noch nicht abgeschlossen.

Die beteiligten Einrichtungen unterstützen die Ukraine mit verschiedenen Expertisen. Das Deutsche Archäologische Institut hilft bei der Auswertung von Satellitenbildern, um beschädigte Kulturgüter zu dokumentieren und zu verifizieren. Das ukrainische Ministerium für Kultur und Informationspolitik hat eine Website eingerichtet, über die Augenzeugen und Einwohner Beschädigungen melden können.

 

Autor Torsten Landsberg     

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