Corona hat die Clubkultur zum Erliegen gebracht. Nun wird die Wiedereröffnung der Berliner Clubs vom Krieg in der Ukraine überschattet. Darf man tanzen, wenn zwei Flugstunden entfernt Menschen sterben?
Als die Clubs in Berlin im September 2021 wenigstens vorübergehend wieder öffnen durften, war die Nachfrage groß: Lange Schlangen zogen sich vor den Eingängen, die Sorge vor einer Ansteckung war angesichts niedriger Corona-Inzidenzen gedämpft - bis die nächste Infektionswelle Deutschland traf. Es gelten die 2G-Plus-Regeln, auch Geboosterte müssen einen aktuellen negativen Corona-Test vorlegen. Anders als zuletzt öffnen die Locations nicht im Frühherbst, sondern im Frühling, was mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen mit Coronawellen immerhin eine mehrmonatige Perspektive bietet.
Was eigentlich ein Grund zur Euphorie wäre, steht nun aber unter den Eindrücken des Krieges in der Ukraine. Die ersehnte Rückkehr zur Normalität scheint unmöglich. "Wir haben zwei Jahre darauf gewartet, ohne Beschränkungen öffnen zu können", sagt Pamela Schobeß, "aber die Vorfreude ist weg."
Musiker spielen auf den Stufen des Deutschen Theaters in Berlin für die Ukraine
Schobeß betreibt mit ihrem Lebensgefährten das "Gretchen" in Berlin-Kreuzberg und ist Vorsitzende der Berliner Clubcommission, der Interessenvertretung der Berliner Clubs und Veranstaltungsbranche. "Wir sind fassungslos und entsetzt, weshalb sich die Vorbereitungen für die Öffnungen merkwürdig anfühlen", sagt sie. Im Team werde die Situation permanent diskutiert. Das "Gretchen" geschlossen zu lassen, sei keine Option. Ob andere Locations ihre Öffnung wegen des Krieges verschieben, sei momentan nicht absehbar.
Sicher ist, dass die Clubszene auf die russische Invasion in der Ukraine reagieren wird. "Wir wollen uns engagieren und arbeiten an einer Spendenkampagne", sagt Schobeß. Unter dem Motto "Club Culture United - Stand Up For Ukraine" würden die Clubs etwa einen Teil der Eintrittsgelder an verschiedene Hilfsorganisationen spenden. Einzelne Mitglieder der Clubcommission hätten bereits Sachspenden gesammelt oder seien nach Polen gefahren, um an der Grenze zur Ukraine zu helfen. Das "Gretchen" hat den Eingangsbereich mit Friedenstauben plakatiert. "Wir sind in hoher emotionaler Alarmbereitschaft."
Orte, um nicht allein zu sein
Es kann deplatziert wirken, angesichts eines Krieges, der von Berlin nur zwei Flugstunden entfernt herrscht, darüber zu sinnieren, ob Menschen nun ausgelassen feiern dürfen. Andererseits ist die Clubszene seit Beginn der Pandemie nicht nur arg gebeutelt worden - sie bietet auch eine wichtige Funktion, den Bildern des Schreckens und der Nachrichtenflut für ein paar Stunden zu entfliehen.
DJ Alis legte in der Nacht von Donnerstag auf Freitag (03.03./04.03.2022) im Anomalie Art Club auf, der zum Event "United x Ukraine" geladen hatte. Gegenüber der DW gestand sie, dass sie es "etwas merkwürdig" findet, "Party zu machen", während in ihrem Heimatland Krieg ist. Alisa Chepel, wie sie mit richtigem Namen heißt, stammt aus dem Südosten der Ukraine. Seit fast sieben Jahren lebt die 25-Jährige nun schon in Berlin.
Ihrer Meinung nach ist es dennoch richtig, jetzt die Clubs zu öffnen: "Die Menschen in Berlin, die haben das Clubbing vermisst, und die möchten wirklich gerne wieder in die Clubs gehen." Es sei eine gute Idee, Clubbing mit Spenden zu verknüpfen: "Das motiviert Menschen an einen Ort zu gehen und wenn sie das aus einem guten Grund tun - warum nicht?!" Die Spenden aus der der Ukraine gewidmeten Nacht im Anomalie Club sollen Vereinen zugute kommen, die sich in sozialen und medizinischen Bereichen engagieren.
Pamela Schobeß hebt zudem den verbindenden Charakter von Clubabenden hervor. "Vielleicht ist es gut, dass wir gerade jetzt Orte bieten, an denen Menschen zusammenkommen können." Clubkultur bedeute nicht nur, die Sau rauszulassen, sondern eben auch, Emotionen auszuleben, sich mit anderen auszutauschen und nicht allein zu sein. "Clubs sind für die Demokratie sehr wichtig", sagt Schobeß.
Es ist eben dieses gemeinschaftliche Moment, auf das Kulturschaffende seit zwei Jahren hingewiesen haben: Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit verschiedenen Backgrounds, die sich sonst nie begegnen würden, treffen hier aufeinander.
Umstrittenes Tanzverbot im Winter 2021/22
Öffnen durften die Berliner Clubs zwar den Winter hindurch, allerdings hatte der Berliner Senat Anfang Dezember ein umstrittenes Tanzverbot verhängt. Nur wenige boten Kulturveranstaltungen an oder öffneten den Barbetrieb. In einzelnen Locations wurden Impfstellen eingerichtet. In einer Umfrage der Clubcommission gaben Anfang dieses Jahres 80 Prozent der rund 100 befragten Clubbetreiberinnen und -betreiber, Veranstalterinnen und Veranstalter an, ihre Betriebe vollständig geschlossen zu haben.
Schon jetzt blickt die Clubszene skeptisch auf den nächsten Herbst und Winter: Was passiert, wenn die Infektionszahlen weiter steigen oder neue Virusvarianten auf eine Bevölkerung ohne ausreichenden Impfschutz treffen? "Es ist wichtig, dass die Corona-Hilfen fortgesetzt werden", betont die Vorsitzende der Berliner Clubcommission. Bislang sei es auch dank der Finanzhilfen allen Mitgliedern des Verbands gelungen, ihre Locations am Leben zu halten, sagt Pamela Schobeß.
Personal hat sich verabschiedet
Aktuell stehen die Clubs vor anderen Herausforderungen. Es gelte, junge Leute, die sich in den vergangenen zwei Jahren Alternativen geschaffen haben, ans Clubleben heranzuführen, sagt Pamela Schobeß. Älteres Publikum habe in dieser Zeit womöglich neue Routinen entwickelt, auch hier sei unklar, ob es in die Clubs zurückkehren werde. Neben Problemen beim Booking suchen die Locations auch händeringend nach Personal, weil sich viele aus der Szene verabschiedet und beruflich gänzlich umorientiert hätten.
Pamela Schobeß, Vorsitzende der Clubcommission, sitzt in ihrem Club Gretchen auf einem Tisch. "Wir waren die ersten, die schließen mussten und die letzten, die wieder öffnen konnten", sagt Pamela Schobeß. Davon sei das Signal ausgegangen, dass die Branche sehr unsicher sei. "Aber Leute wollen und brauchen Sicherheit." Viele Clubs befänden sich noch in der Vorbereitung und würden erst nach und nach öffnen.
Eine Prognose, wie voll die Clubs werden, will Pamela Schobeß nicht wagen. "Ohne den russischen Angriffskrieg hätte ich gesagt: Die Leute sehnen sich und werden kommen." Diese Zuversicht ist vorerst verflogen.
Autor Torsten Landsberg
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