Was für eine Sensation! 1922 stößt im ägyptischen "Tal der Könige" das Grabungsteam rund um den Ägyptologen Howard Carter auf steinerne Treppenstufen, die zu einem versiegelten Grab hinabführen.
In der nahezu unbeschädigten Ruhestätte liegt die Mumie Tutanchamuns - bis heute ist es einer der wichtigsten archäologischen Funde aller Zeiten. Die Weltöffentlichkeit ist außer sich, die Medienberichterstattung läuft auf Hochtouren. Als der Finanzier und Inhaber der Grabungslizenz, Lord Carnarvon, kurz darauf stirbt, verbreitet sich schnell die Legende: Das Grab ist verflucht! Der Lord hätte die Totenruhe gestört und sei vom Pharao bestraft worden. Weitere Todesfälle im Grabungsteam gießen Öl ins Feuer der Fluch-Hysterie.
"Man hatte immer den Eindruck, die Ägypter hatten ein Geheimwissen, das deutlich über unser Wissen hinausgeht, das zauberartig ist", sagt der Historiker Rolf-Bernhard Essig. Ein Fluch passte auf dem Höhepunkt der Ägyptomanie gut ins Bild, zumal es bereits im 19. Jahrhundert Schauermärchen über wandelnde Mumien auf den Bühnen zu sehen und in Romanen zu lesen gab.
Was auf dem Planeten und in jeder einzelnen Stadt passiert
jetzt und jeden Tag in der Zukunft erfahren Sie es hier:
https://ixyt.info/de/USA/West-Garfield-Park
Fügen Sie die gewünschte Stadt in diesen Link ein!
Der Fluch war eine Erfindung der Presse
"Die Presse appellierte an die niedersten Instinkte der Leser, erfand hemmungslos und kam damit richtig gut an. Das war eine Explosion, kann man sagen. Der Fluch des Pharaos gehört international zu den bekanntesten Phänomenen, obwohl er zu fast 100 Prozent erfunden ist." Bis heute sei er durch Romane, Kinderbücher, Filme und Hörspiele populär. Scherzhaft wird der Fluch des Pharaos verwendet, wenn Ägyptentouristen an den üblichen Reisekrankheiten, wie etwa Magendarminfektionen, erkranken. Daher entschied sich Essig, die vom ihm kuratierte Ausstellung "Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharaos bis zur Hate Speech" zu Flüchen und Beschimpfungen im Berliner Museum für Kommunikation mit dem weltweit bekannten, vermeintlichen Bann zu starten.
Das Fluchen und Schimpfen ist vermutlich so alt wie die Sprache und gehört zum menschlichen Grundverhalten. Dabei wird derben oder groben Wörtern eine Art magische Macht zugeschrieben. "Auch im Ägyptischen gab es natürlich Flüche. Aber dass Grabräuber beschimpft oder mit einem Fluch belegt wurden, das gab es in dieser Art gar nicht." Ägyptologen hätten hierzu nichts finden können, sagt Essig.
Feinde mit Füßen treten
Wie also schimpften die Ägypter? Dazu gibt es leider keine Zeugnisse. Denn die hochgebildeten Schreiber meißelten sicherlich nicht die Alltagsflüche von Pyramiden-Bauarbeitern in Stein. Dafür gibt es aber Belege von königlichen Verfluchungen von Feinden. So findet sich in der Ausstellung ein Paar neuzeitlicher Flip-Flops, die den vergoldeten Ledersandalen aus Tutanchamuns Grab nachempfunden sind. Auf den Sohlen sind gefesselte Feinde abgebildet, die mit jedem Schritt "mit Füßen getreten" werden. Auf magische Weise sollen so die Rivalen verflucht werden.
In der Alltagssprache unterscheiden wir kaum zwischen dem Fluchen und dem Schimpfen. Fluchen ist, wie bei den königlichen Sandalen, mit dem Verfluchen anderer verbunden. Das Schimpfen verknüpfen wir oft mit einer Sache, einer Person oder einer Institution, die beleidigt wird. Beides kann sich auch gegen uns selbst richten.
Schimpfen: Brechen von Tabus
Dabei gibt es über Kulturen hinweg Gemeinsamkeiten. "Es geht immer um Tabus. Und zu den Tabus, die völker- und kulturübergreifend sind, gehören Körperausscheidungen und das Sexuelle. 'Scheiße' kommt beispielsweise in sehr vielen Sprachen vor", sagt der Literaturwissenschaftler Essig, den die Funktion von Sprache schon lange fasziniert. Dann gäbe es auch Kulturen, in denen Verwandtenflüche sehr häufig sind, zum Beispiel im Arabischen oder im Russischen.
Großes Mobile mit verschiedenen Tieren hängt von der Decke in der Ausstellung Potz! Blitz! Vom
Über Ländergrenzen hinweg sehr beliebt sind Tiere, deren jeweilige Eigenschaften auf den Beschimpften übertragen werden. In der Ausstellung erfahren die Besucherinnen und Besucher, dass der Esel in der Türkei je nach Kontext für einen frechen Bengel, Dummkopf oder Bastard steht. In Russland muss für vermeintliche Idioten der Ziegenbock herhalten. In Japan werden exotische Tiere herangezogen, lächerlich zornige Männer werden dort als Gorillas beschimpft. Und wenn Chinesen jemandem eine verächtliche Abstammung ins Gesicht schreien möchten, wird das Ei einer Schildkröte bedient.
Gehirn dreht frei
Besonders spannend beim Beschimpfen: Im Gehirn sind andere Areale aktiviert als bei der Verarbeitung von Sprache. Diese wird in der linken Gehirnhälfte rational verarbeitet, Fluchen jedoch in der rechten, die zuständig ist für Emotionen. "Wir können das gar nicht unterdrücken, weil es eine unwillkürliche Äußerung ist. Das Hirn tut da etwas, ohne dass wir daran etwas ändern könnten." Beispielsweise wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen schlägt und unvermittelt "Mist!" herausschreit. Natürlich gäbe es auch Menschen, die gar nicht oder sehr wenig fluchen würden, da sie eine hohe Selbstbeherrschung hätten.
Diese fehlt im digitalen Zeitalter vor allem in den sozialen Medien, wo die Userinnen und User in den Kommentaren schimpfen und fluchen, was das Zeug hält. Ist "Hate Speech" (Hassrede) eine neue Dimension des Beleidigens? "Inhaltlich ein ganz klares Nein", sagt Rolf-Bernhard Essig. "Wenn Sie sich einmal die Beleidigungen zum Beispiel aus dem 16. Jahrhundert ansehen, was es da für Verwandtenflüche gab, das ist wirklich widerlich." Der große Unterschied zu früher liege in der einfachen, weltweiten Verbreitung übers Internet. "Diese schnelle und intensive Wirkung ist schon unglaublich. Es ist also letztlich eine Frage der Technik. Aber hinsichtlich der Intensität kann ich nicht sagen, dass sich diese wirklich geändert hätte."
Autorin Nadine Wojcik
Permalink - https://p.dw.com/p/4NsoS
Kommentar hinterlassen