Warum wir Karneval feiern in Deutschland

12 Nov

Am 11.11. um 11:11 Uhr geht es wieder los: Vor allem im Rheinland - aber nicht nur dort - läuten Tausende von Menschen in bunten Kostümen gemeinsam die Karnevalssession ein.

 

In Köln heißt das Motto in diesem Jahr "Ov krüzz oder quer" (Ob kreuz oder quer). Das erinnere an die unglaubliche Kraft des Karnevals, erklärt Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval. "Selbst in Kriegszeiten, in extremen Wirtschaftskrisen und zuletzt während der Corona-Pandemie - der Karneval ist für die Kölnerinnen und Kölner eine Konstante, er ist eine Stütze in schwierigen Zeiten, eine Auszeit von den Problemen des Alltags."

Eine kleine Zeitreise

Eine Auszeit vom Alltag nahm man sich in Köln schon vor 2000 Jahren - hier liegt eine der Wurzeln des heutigen Karnevals. Damals hieß Köln noch Colonia Claudia Ara Agrippinensium. In der von den Römern gegründeten Stadt feierte man wie überall im Römischen Reich das Fest der Saturnalien zu Ehren des Gottes Saturn. Es wurde viel getrunken und getanzt, und zum Spaß aller tauschten die Reichen ihre edlen Gewänder mit den einfachen Tuniken ihrer Sklavinnen und Sklaven und bedienten sie sogar. Die Unfreien durfte harsche Kritik an ihren Herrschaften äußern, wofür sie an anderen Tagen hart bestraft worden wären. Die antike Welt stand Kopf an diesen Tagen. 


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Es gab sogar einen Umzug mit einem Schiffskarren; auf Latein hieß er "Carrus navalis" - das klingt doch schon sehr nach dem Wort Karneval. Das Volk von Colonia Claudia Ara Agrippinensiums verkleidete sich und begleitete den prächtig geschmückten Karren mit Pauken, Flöten und Rasseln. 

Während die Saturnalien im Römischen Reich meist in den Dezember fielen, feierten die Germanen im Frühling ein wildes Fest. Sie trugen furchterregende Masken und machten mit Trommeln und Schellen einen Heidenlärm, um die Dämonen des Winters zu vertreiben. Hier liegt die zweite Wurzel des Karnevals - noch heute ist dieser Brauch in der süddeutschen Fastnacht (Die Zeit vor dem Fasten) lebendig.

Wie Karneval zum Kirchenfest wurde

Als Kaiser Konstantin im Jahr 343 das Christentum zur Staatsreligion ernannte, war es vorbei mit den Saturnalien. Und auch das heidnische Treiben der Germanen war der Kirche ein Dorn im Auge. Doch da die Menschen sich das Feiern nicht verbieten lassen wollten, deutete man das Fest um: Es galt nicht mehr, böse Geister zu vertreiben, sondern den Teufel - den schlimmsten Feind des Christentums. Das Datum wurde der Liturgie des Kirchenjahres untergeordnet. Zwischen Aschermittwoch und Karsamstag sollten die Gläubigen weniger essen und dafür mehr beten. Bevor die lange Fastenzeit vor Ostern begann, durfte aber noch mal ausgelassen gefeiert werden. Dem Fleisch - lateinisch "carne" - sagte man Lebewohl - lateinisch "vale".

Karneval etablierte sich so als kirchliches Fest, das sich vor allem in katholischen Gegenden durchsetzte - und das nicht nur in Europa: Die Konquistadoren aus Spanien und Portugal brachten ihren Karneval auch in die Karibik, nach Mittel- und Südamerika. Mit Erfolg: In Rio de Janeiro feiern alljährlich Zigtausende zu Sambaklängen eine gigantische Straßenparty. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück in die alte Welt: Zwar war der Karneval jetzt unter kirchlicher Obhut, doch die Priester und Bischöfe beäugten das närrische Treiben weiterhin mit Argwohn. Trotzdem duldeten sie es, dass das Volk kirchliche Rituale parodierte und sogar einen "Narrenpapst" wählte, der auf einem Esel in die Kirche ritt.

Spottlieder, Maskenbälle und viel Unfug

Doch nicht nur die Kirche, auch die tonangebenden Bürger der Stadt bestimmten, wie das Karnevalsfest zu feiern war. Dazu gehörte, dass Handwerkergesellen auf öffentlichen Plätzen und vor Gasthäusern Spottlieder vortrugen oder Gaukler und Komödianten durch die Straßen zogen. Die Oberschicht wiederum feierte auf ihre Art: Der Kölner Kurfürst Clemens August zum Beispiel veranstaltete für die Kirchenherren und die "oberen Zehntausend" der Stadt alljährlich einen rauschenden Maskenball.

Als Napoleons Truppen das Rheinland und die Feiermetropole Köln besetzten, standen sie dem närrischen Volk skeptisch gegenüber und ließen Karneval zeitweise verbieten. Kein leichtes Unterfangen, denn die Narren feierten zwar nicht mehr auf den Straßen, dafür aber in den Wirtshäusern weiter.

1815 kamen dann die Preußen nach Köln, die Stadt fiel wieder unter deutsche Herrschaft. Die Besatzer ließen das närrische Treiben zu, das laut Zeitzeugenberichten  allerdings immer mehr ausartete: "Es machten sich hemmungslose Ausschweifung und Rüpelhaftigkeit breit. So wurde unter der Maske der Narrheit viel Unfug getrieben und viele Masken waren unmoralisch und taktlos."  

Der Karneval wird organisiert

Einflussreiche Kölner Bürger wollten das nicht länger hinnehmen. Sie gründeten das "Festordnende Comité", das 2023 seinen 200. Geburtstag feiert, und schufen die Figur "Held Karneval. Er sollte "die Erbärmlichkeit des gewöhnlichen Treibens auf Grund seines edlen Charakters" wieder in die gewünschten Bahnen leiten und alle Missstände besiegen - und am Rosenmontag seinen Siegeszug durch Köln antreten.  

Aus dem Held wurde später der Prinz Karneval. Seit 1883 hat er die Kölner Jungfrau an seiner Seite, die die freie und keiner fremden Macht unterworfene Stadt Köln symbolisiert. Dargestellt wird sie von einem Mann, denn die Karnevalsvereine waren - und sind oft bis heute - traditionsgemäß reine Männergesellschaften. Der Bauer mit seinem Dreschflegel gilt als Zeichen der Wehrhaftigkeit Kölns. Zusammen regiert dieses   "Dreigestirn" eine Session lang über die Närrinnen und Narren der Stadt. Anderswo herrschen Prinzenpaare, aber eins eint sie alle: Sie eröffnen am 11.11. die Karnevalssession.

Die magische Zahl 11

Das unrunde Datum ist eine Schnapszahl, eine Narrenzahl, wie man im Mittelalter gesagt hätte. Damals begann am 11. November, dem Tag des Heiligen Sankt Martin, eine Fastenzeit bis Weihnachten, vor der man noch mal ordentlich feiern wollte. Dann soll die Elf auch für die Gleichheit aller Narren stehen: zwei Einsen nebeneinander, keine Zahl hat einen höheren Wert. Und nicht zuletzt gibt es eine christliche Deutung: Die Elf, das ist einer mehr als die zehn Finger und einer weniger als die zwölf Apostel, nichts Halbes und nichts Ganzes also - mit einem Hauch von Sündhaftigkeit.

Die Freiheit der Narren 

Ob man in der fünften Jahreszeit, wie die Karnevalszeit auch genannt wird, sündigt? Wie schon bei den alten Römern sind sich die Närrinnen und Narren zumindest in einem einig: Man darf über die Stränge schlagen und die Obrigkeit kritisieren. Sei es in der Büttenrede - jemand steigt auf die Bühne und sagt den Politikerinnen und Politikern ordentlich die Meinung -, bei den Wagen im Rosenmontagszug, die ebenfalls Missstände und Weltpolitik aufs Korn nehmen - oder in der Kostümwahl jedes Einzelnen: Auch hier kann Protest angesagt sein, wenn man sich zum Beispiel als erhitzter Erdball oder ausbeuterischer Finanzhai verkleidet.

Allerdings steht seit ein paar Jahren die Frage im Raum, ob manche Kostüme rassistisch sind und andere Kulturen beleidigen - zum Beispiel durch Blackfacing. Verbote sind allerdings nicht geplant. Das wäre in Städten, wo Zigtausende Menschen feiern, auch gar nicht umsetzbar. Doch für das Kölner Festkomitee ist klar: "Der Kölner Karneval steht für bestimmte Werte. Dazu gehört die Freiheit des Narren ebenso wie Toleranz, Respekt und Vielfalt. Jeder Jeck sollte sich also fragen, ob die Kostümwahl für andere Menschen verletzend sein könnte. Dann findet sich sicher eine gute Alternative, denn der Fantasie sind im Karneval keine Grenzen gesetzt."

 

Autorin Suzanne Cords

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